Der Familienseelsorger
Wenn man nach den bekanntesten Persönlichkeiten in Südtirol fragen würde, Toni Fiung wäre sicher weit vorne platziert. 20 Jahre lang leitete der Familienseelsorger und geistliche Assistent im KFS das Referat für Ehe und Familie der Diözese Bozen-Brixen. Ab September wird er einen neuen Weg einschlagen. Wir haben mit ihm gesprochen.
FiS: Lieber Toni, all die Begegnungen, die Du in den letzten 20 Jahren hattest und all die Menschen, denen Du etwas mitgeben konntest: Was haben sie Dir mitgegeben?
Toni Fiung: Ich habe sehr, sehr viel Vertrauen und Wertschätzung erfahren. Es gibt kaum Zielgruppen, mit denen ich gearbeitet habe, die so herzlich auf mich zukommen, wie etwa die Paare, die ich bei einem Ehevorbereitungsseminar begleitet habe. Wenn ich unterwegs bin, dauert es meist nicht lange, bis mir jemand zuwinkt und man ins Gespräch kommt. Da kommt es auch vor, dass sie voller Glück vom Seminar erzählen und oft noch an das denken, was damals besprochen worden ist. Und es gibt auch Paare, die sich melden, wenn es ihnen nicht gut geht. Ein großer Vorteil ist das Vertrauensverhältnis, das die Paare bereits zu mir haben. Unter diesen Voraussetzungen kann man als Paarberater viel mehr tun und bewirken.
FiS: Weißt Du denn noch, wie viele Paare Du getraut hast?
Fiung: Das sind bestimmt über 600 Paare in ganz Südtirol, wovon die allermeisten – wie ich überzeugt bin – noch immer glücklich miteinander sind. Leider habe ich nicht die Möglichkeit, alle im Blick zu behalten. Es wäre eine spannende und vor allem schöne Geschichte, ein zwei Jahre dafür herzunehmen, sie alle zu besuchen, zu sehen, wie es ihnen geht und wo sie im Leben stehen. 2020 feiere ich mein 40-jähriges Priesterjubiläum. Ich könnte mir auch vorstellen, dieses Fest zu einem Fest der Paare zu machen, die ich in diesen Jahren getraut habe. Wir werden sehen, ob sich das verwirklichen lässt.
"Ich merke, dass die Paare sehr dankbar sind, wenn ihnen aufgezeigt wird, dass Beziehung im Wachsen ist und sie etwas tun können, und dass es ein Geschenk und ein Segen von oben ist."
FiS: Ab 1. September wirst Du die Leitung des Referates für Ehe und Familie abgeben. Worauf wirst Du Dich nun konzentrieren?
Fiung: Familie ist und bleibt mein Hauptanliegen. Besonders die Begleitung von Menschen in schwierigen Situationen. Dazu gehören die Beratung und das Coaching. Das ist für mich eine besondere Form der Seelsorge. Es bedeutet für mich, bei den Menschen zu sein und Hilfestellung zu geben. Auch in der Paarbegleitung werde ich bleiben. Wenn es dem Paar gut geht, dann profitiert das gesamte Familiensystem, besonders die Kinder. Eine funktionierende Paardynamik und eine stabile liebende Beziehung sind von höchster Bedeutung. Ich werde auch weiterhin Familienseelsorger bleiben, wobei der Schwerpunkt meiner Arbeit im Haus der Familie in Lichtenstern angesiedelt sein wird, wo ich mich auch bei den Projekten des Hauses stärker einbringen, neue Inhalte und Themen erarbeiten werde. Auch den spirituellen Bereich möchte ich noch mehr wahrnehmen, jetzt, wo wir die schöne Kirche und auch das etwas ruhigere Waldhaus haben.
FiS: Familie ist im Wandel. Das ist auch im Haus der Familie spürbar. Welche Akzente werden in Zukunft gesetzt?
Fiung: Natürlich muss man sich der jeweiligen Situation stellen. Familie hat sich schon sehr verändert. Egal, ob traditionell, Patchwork oder alleinerziehend – jede Familie hat ihre eigenen Bedürfnisse und Dynamiken. Dass Familie im Wandel ist, bedeutet auch, dass es innerhalb der Familie immer wieder Veränderungen gibt. Mir geht es darum, dass die Menschen, die Begleitung und Hilfe suchen, diese auch bekommen. Die Familien, die in ein Bildungshaus kommen sind schon sehr weit. Meine Herausforderung wird es weiterhin sein, jene Menschen zu erreichen, die nicht bereit sind diesen Weg zu machen. Wir haben schon viele niederschwellige Angebote, wo die Familien einfach kommen und auch gar nichts leisten müssen. Sie können einfach erleben, dass es wertvoll ist, sich Zeit zu nehmen, aber auch ihre Anliegen vertiefen. Da ist die Angebotspalette im Haus der Familie sehr breit.
FiS: Von den Angeboten, die der Staat für Familien bietet, hältst Du weniger.
Fiung: Italien hat schon sehr lange eine sehr schlechte Familienpolitik. Der Staat ist nicht im Stande nachhaltige familienpolitische Maßnahmen so zu setzen, dass Familien entlastet werden oder dass Paare, die Kinder haben möchten, in diesem Wunsch unterstützt werden. Die Familienpolitik ist teilweise eine Katastrophe. Das Land Südtirol versucht ja auszugleichen, doch das nächste Problem ist ja, dass Südtirol eine der teuersten Regionen ist. Die Schere zwischen arm und reich ist in Südtirol einfach zu spüren. Auch die italienische Bischofskonferenz hat sich schwer getan, positiv auf die Situation der Familien einzuwirken. Man kann nicht von der Bedeutung der Familie reden und der Familie Verantwortung geben und sagen, ihr müsst dieses und jenes leisten, wenn man nicht Bedingungen schafft. Da müssen sich alle Verantwortlichen die Frage gefallen lassen, wo sie weggeschaut haben.
FiS: Welche Maßnahmen braucht es?
Fiung: Steuerliche Erleichterungen. Für mich macht eine Unterstützung der Familien über eine Steuerentlastung mehr Sinn, als über Förderungen. Anstatt den Familien das Geld erst zu nehmen nur um es ihnen über bürokratische Hürden wieder auszuzahlen, sollte man es ihnen einfach lassen. Weitere Forderungen sind die Rentenabsicherung und die Anerkennung der Erziehungszeiten. Stets aktuell ist in Südtirol auch die Frage der Wohnbauförderung.
FiS: Was wünschst Du Dir für die Südtiroler Familien?
Fiung: Ich wünsche mir, dass die Familien erfahren, wie wertvoll sie sind, wie bedeutend es ist, Familie zu sein und Familie zu haben. Ich wünsche mir, dass sie sich wirklich wertgeschätzt fühlen.
Vielen Dank für das Gespräch
Valeria von Miller
Zuerst erschienen in:
FiS - Familie in Südtirol Nr. 3/2019