Zum Welternährungstag am 16. Oktober. Übergewicht im Kindesalter ist in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden. Ivonne Daurù, Ernährungswissenschaftlerin und Beraterin bei der Infes - Fachstelle für Essstörungen, erklärt, wie Familien auf gesunde Ernährung achten können.
Ein Gastbeitrag von Ivonne Daurù, Ernährungsberaterin
Essen sollte in jeder Familie Quelle von Lebensfreude sein. Eine gemeinsame Mahlzeit, bei der auf das angenehme Beisammensein und gleichzeitig auf gut schmeckende sowie gesunde Speisen geachtet wird, ist ein wichtiger Teil des Tages und letztendlich des Lebens.
Weshalb Übergewicht im Kindesalter in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden ist, ist meines Erachtens, vor allem in den fehlenden gemeinsamen Mahlzeiten wie etwa dem Frühstück, den fehlenden Regeln und Grenzen – auch beim Essen – und im Überangebot an süßen und fettreichen Lebensmitteln zu sehen. In Supermärkten werden riesige Mengen an Fertigprodukten, Knabbereien und Süßwaren angeboten, meist zu niedrigen Preisen oder im Angebot. Das zwingt uns zum Einkauf. So positiv das vielseitige Angebot auch sein kann, so schwierig ist es, eine gesunde Ernährung im Alltag umzusetzen. Wir kommen mit dem „Zu-Viel“ einfach nicht zurecht! Ist ein Kind übergewichtig, heißt das meist: zu wenig Bewegung bei zu hoher Energieaufnahme! Dabei ist erkennbar, dass Bewegung für Kinder eine wichtige Rolle spielt. Bewegung und Sport dienen jedoch nicht nur der Kalorienverbrennung, sondern unterstützen einen gesunden Stoffwechsel, fördern einen stabilen Knochenaufbau und stärken das Immunsystem.
Je höher der Fernsehkonsum, desto mehr Snacks, Süßigkeiten und Limonaden werden verzehrt. Gleichzeitig werden weniger Milchprodukte, Obst, Gemüse und Vollkornbrot konsumiert. Das konnte aufgrund einer Umfrage in Deutschland festgestellt werden.
Wichtig ist zu differenzieren, ob das Kind leicht übergewichtig ist oder ob es die Tendenz zeigt, extremes Übergewicht zu entwickeln. Kinder zeigen oft im Wachstum unterschiedliche Phasen: Einige Jahre sind sie robuster gebaut und in einer darauffolgenden Zeit schießen sie in die Höhe und der Körperbau wird schlanker. Deshalb sollte man die Situation anfangs gelassen sehen und das Kind nicht allzu sehr unter Druck setzen. Werden die Kilos jedoch kontinuierlich mehr, ist es gut, frühzeitig zu reagieren.
Weshalb ist es wichtig als Familie bei Übergewicht etwas zu unternehmen?
Der Großteil der extrem übergewichtigen Kinder bleibt auch im Jugend- und Erwachsenenalter übergewichtig, mit all den körperlichen Folgen, wie erhöhtem Blutzuckerspiegel, Bluthochdruck, Fettleber und Gelenksabnützungen. Den körperlichen Problemen folgen psychische Belastungen, wie soziale Ausgrenzung, sinkendes Selbstwertgefühl und Essstörungen. Dies kann für die Kinder selbst als beeinträchtigend wahrgenommen werden und verfolgt sie bis ins Jugendalter. Immer wieder habe ich in meiner Arbeit Mädchen und Jungen kennen gelernt, die eine Diät begonnen haben, um auf die psychologische Belastung zu reagieren, die sie auf Grund ihrer körperlichen Rundungen hatten. Sie fallen jedoch somit in ein anderes Extrem hinein: das „Zu-Wenig-Essen“.
Ivonne Daurù
Übergewichtige und normalgewichtige Kinder naschen gleich viel!
Bei einer Untersuchung in Deutschland wurden 6800 Schulanfänger nach ihren Lieblingslebensmitteln und wie oft sie diese essen befragt. Zu den Lieblingsspeisen zählten wenig überraschend Schokolade, gesüßte Getränke, Chips, Erdnüsse, Kekse und Kuchen. Bei der Auswertung, ob normalgewichtige Kinder weniger oft von diesen Lebensmitteln naschen als übergewichtige, konnte kein Unterschied festgestellt werden. Übergewichtige Kinder essen aber vor allem zu wenig Gemüse, zu wenig Vollkornprodukte und Obst. Kuchen und Süßes sollte es nicht jeden Tag geben, sondern sollte ein besonderes Erlebnis sein!
Fast Food und Fertiggerichte sollten sparsam beziehungsweise selten gegessen werden! Ein typisches Fast Food-Menü aus Burger, Pommes und Limo liefert im Mittel 1.350 kcal. Das ist mehr als das Doppelte an Energie einer gewöhnlichen Hauptmahlzeit.
Kinder lernen leicht, was gesunde Ernährung ist, wenn es ihnen vorgemacht wird!
Es ist nie ein alleiniges Problem des übergewichtigen Kindes, sondern immer eine Situation, welche die Eltern mit dem Kind gemeinsam zu verändern versuchen sollten. Neben dem Bewegungsverhalten gilt es die Ernährung der gesamten Familie in Richtung gesunde Speisen und Getränke umzustellen. Das übergewichtige Kind soll nicht den Eindruck haben, allein gegen das Problem „zu viele Kilos“ anzukämpfen, denn, eine vollwertige und fettarme Kost ist für das übergewichtige Kind genauso gesund, wie für die restliche Familie. Allgemein könnte man die geeignete Ernährung mit einer Ampel darstellen:
Rahmenbedingungen und Regeln
Essregeln wie etwa „eine Süßigkeit am Tag“ oder „man isst nur bei den vorgegebenen Mahlzeiten“ geben dem Kind Orientierung und Halt. Dabei ist es wichtig, dass diese Regeln von allen Familienmitgliedern befolgt werden, denn sie tun allen gut! Gleichzeitig sind rigide und zu strenge Verbote nicht hilfreich! Sie können sogar die Entstehung von Übergewicht oder die weitere Gewichtszunahme erhöhen. Ein Schlüssel für die Situation könnte „Besser essen – mehr bewegen“ sein. Besser essen bedeutet bewusst gesunde und gut schmeckende Nahrungsmittel auszuwählen. Dabei schließt man automatisch zu gesalzene, zu fettreiche und gezuckerte Lebensmittel aus. Oft ist die Umstellung der Ernährung kein einfaches Unterfangen, denn Essgewohnheiten sind meistens stark verankert und haben ihren Ursprung weit in der Vergangenheit. Deshalb kann eine Begleitung mittels einer Fachperson hilfreich sein, um situationsspezifische Hilfestellungen zu bekommen.
Oma und Opa machen mit!
Isst das Kind regelmäßig bei den Großeltern, spielt hierzu eine bedeutende Rolle, was bei Oma und Opa auf den Tisch kommt. Auch Großeltern gelten als Vorbilder für das Kind. Deshalb sollte dort ebenso fettarm und gemüsereich gekocht, wenig Süßigkeiten und Süßspeisen aufgetischt werden.
Auf die Signale Hunger und Sattsein achten
Oft können übergewichtige Kinder nicht erkennen, welchen Unterschied es zwischen Hunger haben und „glustn“ gibt. Dies ist jedoch wichtig, wenn man das „Zu-viel-Essen“ in den Griff bekommen will. Beim Nachfragen und Aufmerksam machen, lernt das Kind auf die eigenen Körpersignale zu hören. Das kann während der Mahlzeiten trainiert werden, indem Groß und Klein darüber sprechen und zum Beispiel jeder mit dem Essen aufhört, wenn er/sie satt ist. Die Frage „Bist du hungrig?“ oder „Wie viel möchtest du auf dem Teller haben?“ führt dazu, dass das Kind auf die eigenen Bedürfnisse aufmerksam wird und diese zu erkennen lernt.
Wer unsicher ist, ob sein Kind übergewichtig oder untergewichtig ist und wie darauf reagiert werden sollte, kann sich an Ernährungsberatungsstellen wie die Infes - Fachstelle für Ernährung wenden.
Essen gemeinsam zubereiten ist Quelle für Lebensfreude
Die Erfahrung, die ich in der Arbeit gemacht habe ist, dass Kinder und Jugendliche gerne kochen. Dies ist zu nützen! Kinder können auf die eigene Ernährung besonders achten, wenn sie lernen, gesunde Speisen zuzubereiten, und diese von der ganzen Familie genossen werden. Dabei kann das Kochen zu Hause auch Spaß machen, zum Beispiel an verregneten Wochenenden, wo man gerne gemeinsam in der warmen Küche ist.
Text: Ivonne Daurù
Aus der FiS - Familie in Südtirol Nr. 5/2017
Zur Autorin:
Ivonne Daurù Malsiner ist Ernährungswissenschaftlerin und Coach, sowie ausgebildete Sporternährungsberaterin. Seit Jahren ist sie in der Ernährungsberatung mit den thematischen Schwerpunkten „Gesunde Ernährung“ in Familie, Kindes- und Jugendalter sowie Sporternährung und Übergewicht tätig. Die Beratungen werden in der Infes – Fachstelle für Essstörungen, in Bozen angeboten.