Große Erwartungen, alte Wunden, sexuelle Bedürfnisse, die Liebe und das Kreuz mit der Kommunikation. Für die FiS-Familie in Südtirol haben wir mit den Beziehungstherapeuten Christine und Maximilian Schallauer über diese Themen gesprochen.
FiS: Sie beide sind seit 1998 als Paartherapeuten tätig. Wann brauchen Paare eine Therapie? Mit welchen Konflikten kommen sie zu Ihnen?
Maximilian Schallauer: Grundsätzlich ist nicht jedes Problem ein Fall für die Paartherapie. Wir haben viele Selbstheilungsmechanismen und Konflikte haben auch etwas Positives. Sie öffnen Wege, sich besser aufeinander einzustellen. Wenn sich aber bestimmte Probleme immer wieder zeigen, und immer gleiche Streitthemen aufkommen, dann ist es sinnvoll eine neutrale Person hinzuzuziehen, um aus dieser Endlosschleife herauszukommen. Wer zu uns kommt, hat etwas zu verlieren. Da sind Kinder, da wurde etwas Gemeinsames aufgebaut. Wenn es dann auseinanderzugehen droht ist das schon sehr problematisch. Es gibt auch Paare, die kommen zu uns und sagen, es gehe ihnen zwar gut, aber falls Konflikte auftauchen, möchten sie sich vorbereiten.
Christine Schallauer: Unsere Grundannahme ist es, dass zwei unterschiedliche Menschen zwei unterschiedliche Wahrheiten haben und letztendlich streitet man über diese übergeordnete absolute Wahrheit. Bei der Frage wer Recht hat, bleiben viele Paare hängen. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und diese Mitte lässt sich nur im Gespräch finden. Das kann nur gelingen, wenn ich meinem Partner wirklich zuhöre, ihn wahrnehme und seinen Standpunkt wiederhole. Das mag einfach klingen, doch wir können uns nur selbst fragen, wie oft wir anstatt wirklich zuzuhören schon in Gedanken zurechtlegen, was wir entgegensetzen.
Sie arbeiten vor allem mit dem Therapiekonzept Imago.
Was kann man darunter verstehen?
C. Schallauer: Mit Imago ist in der Paartherapie das „innere Bild“ jenes Menschen gemeint, von dem wir unbewusst annehmen, dass er zu uns passt. Dieses innere Bild setzt sich aus den wichtigsten Bezugspersonen der Kindheit zusammen. Wir gehen davon aus, dass unsere Beziehungen durch unverarbeitete Konflikte und Erlebnisse aus der Kindheit beeinflusst werden. Weil uns kaum jemand so nahe ist, wie der eigene Partner hat er die Fähigkeit, diese alten Wunden und Konflikte wieder hervorzuholen. Er kann verborgene Gefühle wieder in Gang setzen und ermöglicht uns aber gleichzeitig, diese alten Wunden zu verarbeiten und uns weiterzuentwickeln. Problematisch wird es, wenn man mit der Erwartungshaltung in die Beziehung geht, der Partner möge alle Defizite heilen, die uns widerfahren sind.
Sind Beziehungen heute anders als früher? Erwartungen größer?
C. Schallauer: Die Rollen waren früher sicherlich klarer verteilt. Es war vieles selbstverständlich und festgelegt. Die Frau war zuständig für Haus und Kinder, der Mann für das Geld. Heute ist das kaum mehr der Fall. Beide gehen einem Beruf nach und beide kümmern sich um die Kindererziehung. Damit sind auch die Themen, die Paare beschäftigen andere. Junge Paare müssen sich heute wie ein Unternehmen organisieren. Da muss genau aufgelistet werden, wer wofür verantwortlich ist, damit man sich aufeinander verlassen kann.
M. Schallauer: Paare tauschen sich stärker aus als früher. Es ist es eine große Chance, wenn Herausforderungen als Team bewältigt und die Verantwortung in allen Bereichen der Partnerschaft geteilt werden kann.
Hört man dann wieder Begriffe, wie „Generation Beziehungsunfähig“, möchte man meinen, die langfristig gedachte Paarbeziehung sei bei jungen Leuten out. Ist da etwas dran?
M. Schallauer: Man kann es sich heute erlauben, sich auszuprobieren und Erfahrungen zu machen. Das ist ganz normal. Irgendwann kommt dann meist doch die Phase der sozialen Verantwortung, etwa die Verantwortung, eine Familie zu gründen. Es kann allerdings durchaus passieren, dass man sich so an diese Freiheit des Ausprobierens gewöhnt, dass man die Beziehung, sobald Konflikte auftauchen, beendet.
C. Schallauer: Dass die Scheidungsrate heute höher ist als vor einigen Jahren, hat wohl weniger mit Beziehungsunfähigkeit, als damit zu tun, dass weniger Abhängigkeiten bestehen. Trotzdem: Viele junge Menschen haben Bilder im Kopf, wie eine gute Partnerschaft zu sein hat und wenn es nicht den Vorstellungen entspricht, suchen sie weiter. Irgendwo gibt es vielleicht genau die Richtige oder den Richtigen.
Gibt es den Richtigen oder die Richtige?
M. Schallauer: Es gibt tausend Richtige, aber gewisse Dinge müssen schon zusammenpassen. Im Grunde ist Liebe schon eine Entscheidung. Okay, wir fühlen uns voneinander angezogen, aber sich auch den Schwierigkeiten zu stellen, dazu muss man sich entscheiden.
Aber Liebe allein wird kaum ausreichen?
M. Schallauer: Es gibt die Liebe als emotionale Komponente und es gibt die Partnerschaft. In der Partnerschaft stellt sich die Frage, wie man mit dieser kleinen Firma, die man da gegründet hat nun umgeht. Was bringt jeder ein? Wie organisiert man sich? Wie redet man miteinander und wie geht man mit Konflikten um? Beides gehört gleichermaßen dazu.
Im Paarseminar „Dialog und Zärtlichkeit“, geht es vor allem darum, die Erotik als wichtige Energiequelle hervorzuheben.
Warum ist das so wichtig?
C. Schallauer: Die Diskrepanz könnte größer nicht sein. Auf der einen Seite kann sich jeder 12-Jährige einen Porno herunterladen, auf der anderen Seite wissen wir nicht, wie wir über unsere sexuellen Bedürfnisse reden sollen. Es gibt Paare, die über 30 Jahre beieinander sind und sagen, sie hätten darüber noch nie gesprochen. Und wer von uns kann schon sagen, er hätte gelernt darüber zu reden? Dabei wäre das unglaublich wichtig.
M. Schallauer: Wir leben zwar in einer sexualisierten Gesellschaft, aber eine sexuelle Kultur haben wir nicht. Junge Paare reden eher über ihre Sexualität als die ältere Generation. Von einem durchschlagenden Erfolg kann man aber nicht sprechen. Wir geben so viel von unserem Innersten in die Sexualität hinein. Es ist so etwas Persönliches, dass man schnell beleidigt oder verletzt ist, wenn der Partner andere Wünsche hat. Vor allem Männer sind da sehr empfindlich. Wenn Druck auf Gegendruck trifft, Gegensätze aufeinanderprallen, wird es immer schwieriger ins Gespräch zu kommen. In Wirklichkeit ist Sexualität ein so weites Feld, dass es genügend Wege gibt, die für beide passen. Diese zu finden, bedeutet aber darüber reden zu können und wie das gelernt werden kann, wollen wir vermitteln.
Dr. Maximilian Schallauer ist Gesundheitspsychologe, klinischer Psychologe und Psychotherapeut. Christine Schallauer ist Psychotherapeutin und Transaktionsanalytikerin. Beide sind zertifizierte Imago-Beziehungstherapeuten und Gründer des Zentrums für Beziehungsarbeit in Walding bei Linz. Sie haben selbst über eine Ehekrise zur Imago-Paartherapie gefunden. Das Paar hat vier Kinder und sieben Enkelkinder. Im Oktober leiten sie das Imago-Paarseminar „So viel Liebe wie du brauchst“ im Haus der Familie am Ritten.
Interview: Valeria von Miller
Aus der FiS - Familie in Südtirol Nr. 1/2018